Schwierige Zeiten

Schwierige Zeiten ( Multisystematrophie) und ein sehr besonderes Erlebnis

hier halte ich meinen kleinen Bruder auf dem Arm, im November 1965.hier ist er in seinem Element: er liebte es mit Papa Staudämme zu bauen, am Wasser zu spielen. Lego bauen, zelten, in Höhlen klettern, am liebsten immer draußen sein und Abenteuer erleben, das mochte er sehr gern.Sein verschmitztes Grinsen und seinen Humor verlor er nie. Durch einen dummen Streit hatten wir einige Jahre wenig Kontakt und ich wusste so vieles nicht von ihm. er hatte sich das Gitarre spielen beigebracht und konnte es sehr gut, er kletterte in Höhlen und auf Berge (Matterhorn und Ortler), er liebte Skifahren, wanderte viel, reiste gern,er lernte tanzen, arbeitete immer sehr hart und fleißig. Als er etwa 40 war, hatte er erste Symptome einer rätselhaften Krankheit. Zunächst wurde Parkinson diagnostiziert, dann aber wurde festgestellt, dass er an MSA , an Multi System Atrophie erkrankt war. Er wurde schwächer, musste schließlich im Rollstuhl sitzen, er, der immer so aktiv gewesen war. Am liebsten hätte er einen Segwayrollstuhl gehabt, um damit noch ein bisschen durch die Gegend zu flitzen. Aber er bekam zunächst einen Rollstuhl , der geschoben werden musste, später einen, den er selbst steuern konnte. In dieser Zeit besuchte ich ihn immer wieder und betreute ihn auch manchmal ein paar Tage. So kamen wir uns wieder sehr nahe.Im Oktober 2016 war ich bei ihm, da konnte er noch ein paar Schritte gehen, und wir tauschten Plätze, ich im Rollstuhl, er schob.Seine Sprache wurde immer verwaschener, das Tippen auf dem Sprachcomputer wurde immer schwieriger und auch mit der Augensteuerung war es sehr mühsam. Im Juli 2017 hatte er eine Lungenentzündung und musste dann per Magensonde ernährt werden. Das war besonders schwer für ihn, weil er immer so einen Appetit und großen Hunger hatte. Die letzte Juliwoche 2017 konnte ich komplett mit ihm verbringen, ihn waschen, umbetten, die Sondenernährung anlegen, ihn nachts umlagern, Telefonate für ihn erledigen, also Vollzeitpflege. Ich hatte vorher große Angst, ob ich das schaffen würde, ich bin ja medizinisch nicht ausgebildet. Aber mir wurde alles gut erklärt und es war eine ganz wunderbare Woche. Wir konnten zusammen lachen und zusammen traurig sein und für mich war es eines der schönsten Erlebnisse, die ich je in meinem Leben gehabt habe.

Als mich nach dieser Woche von ihm verabschiedete, weil für mich eine langgeplante Reise nach Kanada bevorstand, hatte ich schon den Gedanken, dass ich ihn vielleicht gar nicht wieder sehen würde, weil er so schwach geworden war.

Dann riefen mich während der Reise seine Söhne an, er war in der Nacht vom 19. auf den 20. August im Krankenhaus an einer erneuten Lungenentzündung verstorben. Bis zum Schluß hatte er alles so geduldig ertragen.

Ich brach meine Reise in Kanada nicht ab, ich wusste, dass er das nicht gewollt hätte. Trotzdem war ich natürlich traurig, dass ich nicht bei der Beerdigung dabei sein konnte. Deshalb war mir folgendes Erlebnis nach meiner Rückkehr ein besonderer Trost:

Mein Mann las folgende Notiz in der Tageszeitung:

Am Freitag, um 15 Uhr gibt es im Foyer des Sprengelmuseums in Hannover ein NOTFALLKONZERT.

Wir konnten uns darunter gar nichts vorstellen und gingen aus Neugier mal hin. Im Treppenhaus saßen einige Leute, dann sagte die Veranstalterin, dass man auf einen Notizzettel eine besondere Not anonym aufschreiben darf und dann wählt das Streichquartett der Hochschule zwei Stücke aus, für die persönliche Not und spielt ganz speziell für diese eine Person, die ihre Not auf den Zettel geschrieben hat, die ausgewählten Musikstücke. Ich beobachte das ganze zuerst, dann fasste ich Mut und füllte auch einen Zettel aus. Ich schrieb: Mein jüngerer Bruder ist kürzlich verstorben, ich trauere um ihn. Dann nahm ich Platz , direkt vor dem Streichquartett und die jungen Leute spielten nur für mich. Das war für mich sehr tröstlich und half mir ein bisschen darüber hinweg, dass ich nicht bei der Beerdigung hatte dabei sein können.

Ich betrachte dies als ein Geschenk Gottes für mich, so wie die Zeit, in der ich meinen Bruder so intensiv pflegen und betreuen durfte, ein ganz besonderes Geschenk für uns beide war.

meine Kunst, Oma, erzählst du uns von früher?, Schwierige Zeiten

Schwierige Zeiten

In meinem Leben gab es immer wieder depressive Phasen, schwierige Zeiten. Nach der Trennung von meinem ersten Ehemann, nach vielen Jahren als alleinerziehende, berufstätige Mutter hatte ich wirklich Probleme. Ich fühlte mich so:Innerlich schwer verbrannt, abgewandt von der Aussenwelt, im Grunde genommen tot. Ich wollte nichts mehr sehen und hören, am liebsten nur schlafen, einfach weg sein. Um mich herum war alles schwarz, die kleinen Lichtblick rechts oben konnte ich in meinem Leben nicht mehr sehen.

Ich suchte einen Therapeuten auf. Er half mir Lebenslügen aufzudecken, die mich teilweise seit der frühen Kindheit begleiteten, z.B. “ du bist nicht gut genug“ und ähnliche Sätze, die man mir gesagt hatte. Auch hier war Malen wieder mal, wie schon öfter in meinem Leben, eine gute Möglichkeit zur Selbstheilung.

Die Lügen mussten durchgestrichen und durch Wahrheit ersetzt werden! Links unten keimt neue Wahrheit und ein bisschen Lebensmut…

Manchmal war mein Gefühl auch so: Ich stehe in einem Flur, es gibt nur verschlossene Türen, bzw. Türen, in die ich absolut nicht hineingehen darf, verbotene Wege, oder gefährliche Wege. Ich bin klein, in zu grosser Kleidung, es scheint auch keinen Ausweg zu geben.Ich liege platt und ko auf einem Weg, den ich wohl gehen möchte, Freunde ziehen mich ein Stück mit, letztlich gehen sie dann aber ihrer Wege und lassen mich liegen.

Wie soll es nur weitergehen? Wohin soll ich, wohin will ich? Ich kann allein nicht weiter, aber Freunde können auch nicht wirklich helfen. Ich bin verzweifelt. Ich melde mich zu einem Malworkshop an… ich hoffe dort ein bisschen dazuzulernen, bin immer viel zu kritisch, was meine Bilder angeht.Dort sollen wir eine Muschel malen. Ich male meine groß über das ganze Blatt verteilt, und an einer Stelle explodiert etwas aus dem Inneren Heraus. …

Das zweite Bild, das ich in dem Workshop male ist dieses: Ich stehe ganz allein, ich will nichts sehen, die Tigeraugen, die Gefahr lauert, die Würgeschlange der Sünde drückt mir die Luft bald ab, der gierige Hund sieht freundlich aus, ist es aber nicht. Ich selbst habe überhaupt keine Kontrolle, bin machtlos und hilflos. Obwohl es in dieser christlichen Freizeit viele Menschen gibt, die allen an verschiedenen Workshops teilnehmen, fühle ich mich total einsam. Ich bin in einer schrecklichen Verfassung.

Die Leiterin des Workshops bemerkt es und fragt, was mir denn helfen könnte??? Das weiß ich leider auch nicht…Ich male dies als nächstes Bild “ unter seinen Flügeln bin ich geborgen“… Ein bisschen rede ich mir das selbst ein, ich fühle mich ein bisschen besser, aber nicht wirklich befreit. Die Flügel scheinen eher schwer auf mir zu liegen und engen meine Bewegungsfreiheit ein….

In diesem Workshop höre ich zum ersten Mal von dem Thema “ Hochsensibilität“ und es hilft mir etwas, mich besser zu verstehen, vor allem der Tipp, Ruhephasen für mich ein zu planen, in denen ich mich vor allen Einflüsse zurück ziehe und nur die Gedanken fließen lasse, hilft mir.

Als ich von diesem Workshop wieder nach Hause zurückkehre, fängt für mich der Schulalltag als Lehrerin wieder an ( 2010) und ich fühle mich dieser Aufgabe überhaupt nicht gewachsen. Ein Gutes blieb aber: Barbara Lidfors, die Leiterin dieses Workshops ermutigt mich, mich bei einem Malkurs anzumelden. Volkshochschulkurse hatte ich früher schon mal versucht, und ich überlegte, wo ich wohl hingehen könnte…

Im September 2010 sah ich mir die Semesterausstellung der Studenten der Schwäbisch Haller Kunstakademie an. Ich stand sehr gedankenverloren vor diesen Arbeiten und dachte: Das sind Werke von Studenten, die haben es gut, die sind begabt und jung… In diesem Moment sprach mich ein älterer Herr an ( wie sich später herausstellte, war das Michael Klenk, der Leiter der Akademie). Er sagte : „Das können Sie auch!“ Einfach so, ohne , dass er mich kannte, ohne, dass wir vorher Worte gewechselt hatten. „Das können Sie auch!“ Als ob er meine Gedanken gelesen hätte…ich hatte mir das ja gar nicht zugetraut. Er gab mir einen Flyer und ich meldete mich an, in der Kunstakademie Schwäbisch Hall.

meine Kunst, Oma, erzählst du uns von früher?, Schwierige Zeiten

Alle Wege sind offen…

2010 ging es mir psychisch nicht besonders gut. Was mir meistens gegen depressive Verstimmungen half war die Malerei, die Beschäftigung mit Kunst. Eines Morgens wachte ich auf und hatte sofort ein Bild vor Augen, ich musste es gleich aufs Papier bringen. Ich holte einen Bogen Ingrespapier hervor, den ich schon lange aufbewahrt hatte und die Ölpastellkreiden, die sich so schön weich aufs Papier bringen lassen, man muss nicht sehr aufdrücken, dann geben sie schon viel Farbe ab, und sie erzeugen eine schöne, glatte, glänzende Oberfläche. Es dauerte nicht lange und schon hatte ich das Bild umgesetzt, genau so, wie ich es vor meinem inneren Auge gesehen hatte :Ich hängte es an die Wand, war zufrieden und ging in den Alltag, an meine Arbeit.

Am nächsten Tag sollte meine Tochter das Ergebnis für ihre erste Abiturprüfung im Fach Kunst erhalten, für den praktischen Teil. Alle weiteren Prüfungen sollten zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden, sie erfuhr nur diese eine erste Note an diesem Tag. Da ihr die Lehrerin eine sehr gute Note prophezeit hatte, war sie zutiefst enttäuscht, dass das Ergebnis längst nicht so gut wie verheißen ausgefallen war. Meine Tochter war so entmutigt, dass sie an keiner weiteren Prüfungen mehr teilnehmen und somit alles hinschmeissen wollte. Ich war sehr aufgebracht über ihren Entschluss. Hatte ich ihr doch schon nach der 10. Klasse und nach ihrem Auslandsschuljahr vorgeschlagen lieber eine Ausbildung zu machen, ich bestand nicht darauf, dass sie Abitur machen musste….Aber sie hatte sich ja nun mal für diesen Weg entschieden, ich hatte sie unterstützt, Nachhilfe und Schulgeld bezahlt und war nun ziemlich ärgerlich, dass sie so kurz vor dem Ziel aufgeben wollte.

Ich zog mich zurück und betete, wie ich es öfter in solchen Situationen als alleinerziehende Mutter getan hatte. Wen hätte ich um Rat fragen sollen? „Herr, was soll ich tun? Bitte gib mir Weisheit!“ Sollte ich sie überreden, ihr drohen? Was war der richtige Weg? Sehr schnell kam mir der Gedanke: “ Du hast die Antwort schon gestern bekommen! Denke an das Bild: Alle Wege sind offen. Man kann von jeder Seite aus hineingehen, im Zentrum im Kreis gehen, an derselben Stelle an der man hineinging, wieder herausgehen, oder eine ganz andere Richtung einschlagen….“

Sehr schnell wurde ich ganz ruhig und gelassen und wusste, dass dies genau die richtige Antwort und Lösung war. Ohne jeden Groll konnte ich nun mit meiner Tochter sprechen und ihr sagen: “ Ich drängle dich nicht, die übrigen Prüfungen zu absolvieren. Schlaf eine Nacht darüber und triff dann deine ganz eigene Entscheidung, ganz frei. Du kannst immer noch eine Ausbildung machen, mit oder ohne Abitur. Überlege in Ruhe!“

Wir beide konnten darüber ruhig werden, und ich sagte auch den restlichen Tag über nichts mehr zu diesem Thema, sondern überließ die Entscheidung ganz frei meiner Tochter.

Am nächsten Morgen stand sie rechtzeitig für den Schulbeginn auf, und sagte ganz gelassen, sie hätte sich entschieden, doch alle Abiprüfungen abzulegen.

Das erleichterte mich sehr und ich bin froh, dass ich diese göttliche Eingebung bekommen hatte und meine Tochter nicht unter Druck gesetzt hatte.

Sie hat auch alle Prüfungen bestanden und mit einem guten Abitur die Schulzeit beendet.