„…ein ähnlicher Abstieg wird mir zugemutet, wenn das Telefon klingelt und die Welt der falschen Zeit durch das Instrument hindurch höhnisch nach mir greift. Eben war ich noch ganz bei mir selbst, in Worte versunken, die richtigen Worte, und nun dringen die falschen Worte an mein Ohr, Worte, die nach Datum und Uhrzeit fragen und mich zwingen, den Kalender aufzuschlagen, mein Leben zu berechnen, mich in die Zeit der Uhren und Kalender hinaus zu zerstreuen und nachher ist es schwer, in die Poesie und die zeitlose Gegenwart zurückzufinden. Hätte ich nur nicht abgehoben, denke ich, hätte ich nur nicht abgehoben! …“ ( aus Pascal Mercier: Das Gewicht der Worte S 220ff)
Vielleicht liegt meine Telefonphobie daran, dass ich auch nicht aus dieser Versunkenheit von der Mercier spricht ,herausgerissen werden möchte. Bei ihm ist es die Versunkenheit in Worte, bei mir auch oft die Versunkenheit ins Malen, Aufräumen… ein Zustand, der vergleichbar ist mit dem eines vertieft spielenden Kindes.
Über Jahre rief mich meine Mutter fast täglich an. Sie erzählte nahezu immer das Gleiche, beklagte sich über dies und das. Egal, was ich dazu sagte: es war nie recht. (Ich verstehe heute, dass sie aus Einsamkeit anrief, um wenigstens einmal am Tag mit einem Menschen zu reden…)
Ich telefoniere nicht gerne, das bloße Zuhören ist nicht mein Ding. Nicht, weil ich nicht zuhören könnte. Nein, das „Zuhörenmüssen“ ist eher eine Belästigung, ich höre nie, oder fast nie Radio oder Musik, es stört meine Gedanken. Es ist für mich, als würde mir jemand beim Betrachten eines Bildes ein Auge zuhalten. Ich kann zwar noch sehen, aber es ist dann stark eingeschränkt. Nebenbei Musik hören behindert mich beim Ordnen meines inneren Stimmengewirrs. Geräusche lenken mich ab von den Gedanken, die ich in Ruhe zu Ende hören will . Ja, hören, für mich ist es nicht nur Denken. Für mich sind die inneren Stimmen Welten, die aus Geräuschen, Bildern und Empfindungen bestehen.
Wenn ich Kontakt aufnehmen will, schreibe ich lieber Kurznachrichten. Ich kann auf diese Weise mein Anliegen, meine Frage knapp formulieren und gebe aus meiner Sicht meinem Gegenüber die Zeit und Chance, seine Antwort in Ruhe zu überdenken, sich ggf. erst abzusprechen. Aus meiner Sicht ist dies viel angenehmer und freundlicher als ein direkter Anruf. Andere dagegen empfinden es als Affront , nur kurze Nachrichten zu erhalten, anstatt angerufen zu werden.
Am schlimmsten ist es, wenn ich selbst irgendwo anrufen und einen Termin vereinbaren muss, und wenn es nur ein Friseurtermin ist. Ich lege mir dann vorher innerlich schon mindestens 3 Textversionen zurecht, um mein „Sprüchlein“ dann schnell und ohne Stocken aufsagen zu können. Die Zeit, die ich vorher mit Grübeln und vor mir herschieben verbringe, dauert immer viel länger als das Telefonat selbst. Am liebsten bitte ich sogar meinen Mann darum, das Telefonat für mich zu übernehmen. Sogar, wenn es nur um den Pizzalieferservice geht.
Wenn mich jemand anruft, schaue ich immer zuerst, wer dran ist. Mag ich die anrufende Person nicht, oder kenne ich die Nummer nicht, gehe ich nicht ran und warte, bis der Anrufbeantworter anspringt. Ich habe das Gefühl, dass Anrufe mir meine Zeit rauben. Was ja nicht stimmt, ich habe ja wirklich ausreichend viel Zeit, seit ich nicht mehr berufstätig bin. Aber doch habe ich nie genug Zeit für alle meine Pläne, für alle Bilder, die ich noch malen und alle Bücher, die ich noch lesen will.
Bei längeren Telefonaten kann es passieren, dass ich plötzlich Spinnweben und Staub in der Wohnung liegen sehe, dann fange ich an, nebenbei zu wischen, was mich natürlich ablenkt, manchmal weiß ich dann nicht mehr so genau, was der Anrufer eigentlich sagte…
Es gibt aber ein paar Ausnahmen: Rufen meine Töchter oder Enkel an, lasse ich alles stehen oder liegen, auch das angefangene Essen auf dem Tisch und gehe ans Telefon.
Auch ein paar ganz spezielle Freunde und Freundinnen gehören zu den Menschen, für die ich jederzeit ein Ohr habe.
Und mein Mann. Mit ihm habe ich, als wir uns zunächst nur per Mail kennengelernt hatten und nur wenig voneinander wussten, tatsächlich drei Stunden telefoniert!!! Und es kam mir gar nicht lang vor.
